„Direkt aus dem Gehirn tippen”: Gedanken-lesende Kappe von Meta ist fertig – aber anders als gedacht

Das Ziel von Meta war es, per Gedankenkraft Texte tippen zu können. (Foto: Shutterstock/ra2 studio)
2017 stellte das damals noch Facebook genannte Unternehmen Pläne für eine Gedanken-lesende Kappe vor, mit der man Texte schreiben kann, indem man den Text einfach nur denkt. „Wir arbeiten an einem System, mit dem man direkt aus dem Gehirn tippen kann“, teilte CEO Mark Zuckerberg damals in einem Post mit. Jetzt hat Meta das Vorhaben nach eigenen Angaben tatsächlich geschafft. Allerdings ist es keine Kappe geworden. Stattdessen wiegt das System eine halbe Tonne, kostet zwei Millionen US-Dollar und wird das Labor nie verlassen. Insofern ist es fraglich, ob Meta damit seine Ankündigung überhaupt eingelöst hat.
Ohne eine Schnittstelle im Gehirn implantieren zu müssen
Wissenschaftlich betrachtet ist das Erreichte dennoch beeindruckend: Metas Neurowissenschaftler:innen und KI-Forscher:innen gelang es, die Gehirne von Menschen zu analysieren, während sie tippen, und nur anhand ihrer Gedanken zu bestimmen, welche Tasten sie drücken – und das ohne eine Schnittstelle im Gehirn implantieren zu müssen. Die Gedanken der Proband:innen wurden von außerhalb mit einem Magnetscanner detektiert und anschließend mit einem tiefen neuronalen Netzwerk verarbeitet, wie das Team Anfang Februar in zwei Publikationen (hier und hier) und einem Blog-Beitrag beschrieben hat.
„Wie wir immer wieder gesehen haben, können tiefe neuronale Netze bemerkenswerte Erkenntnisse aufdecken, wenn sie mit robusten Daten gepaart werden“, sagt Sumner Norman, Gründer von Forest Neurotech, der nicht an der Forschung beteiligt war, Meta aber lobt, dass das Team ‚große Anstrengungen unternommen hat, um qualitativ hochwertige Daten zu sammeln‘.
Laut Jean-Rémi King, Leiter des Meta-Forschungsteams „Brain & AI“, ist das System in der Lage, in 80 Prozent der Fälle zu bestimmen, welchen Buchstaben eine geübte Schreibkraft gedrückt hat, eine Genauigkeit, die ausreicht, um aus den Gehirnsignalen ganze Sätze zu rekonstruieren.
Neurowissenschaften für eine leistungsfähige KI
Facebooks ursprüngliche Suche nach einer Kappe oder einem Stirnband für Verbraucher, die Gedanken auslesen können, stieß auf technische Hindernisse, und nach vier Jahren gab das Unternehmen die Idee auf. Meta hat jedoch nie aufgehört, die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften zu unterstützen, die es jetzt als wichtigen Weg zu leistungsfähigeren KI sieht, die wie Menschen lernen und argumentieren können.
King sagt, dass seine in Paris ansässige Gruppe speziell damit beauftragt ist, „die Prinzipien der Intelligenz“ des menschlichen Gehirns herauszufinden. „Der Versuch, die genaue Architektur oder die Prinzipien des menschlichen Gehirns zu verstehen, könnte helfen, die Entwicklung von maschineller Intelligenz zu unterstützen“, sagt King. „Das ist der Weg.“
Das neue System ist definitiv kein kommerzielles Produkt und ist auch nicht auf dem Weg dorthin. Der Magnetenzephalographie-Scanner, der in der neuen Forschung verwendet wird, sammelt magnetische Signale, die in der Hirnrinde entstehen, wenn Neuronen feuern. Aber er ist groß, teuer und muss in einem abgeschirmten Raum betrieben werden, da das Magnetfeld der Erde eine Billion Mal stärker ist als das in einem Gehirn und die Messungen verfälschen würde. Norman vergleicht das Gerät mit „einem MRT-Gerät, das auf die Seite gekippt und über dem Kopf des Benutzers aufgehängt ist“.
Hinzu kommt, so King, dass das Signal verloren geht, sobald die Testperson ihren Kopf bewegt. „Unsere Bemühungen zielen überhaupt nicht auf Produkte ab“, sagt er. „Meine Botschaft ist immer, dass ich nicht glaube, dass es einen Weg für Produkte gibt, weil es zu schwierig ist.“
20 Stunden im Gehirn-Scanner und Sätze tippen
Das Tippen-per-Gedankenkraft-Projekt wurde mit 35 Freiwilligen am spanischen Forschungszentrum „Basque Center on Cognition, Brain and Language“ durchgeführt. Jeder von ihnen verbrachte etwa 20 Stunden im Scanner und tippte Sätze wie „el procesador ejecuta la instrucción“ (der Prozessor führt die Anweisung aus), während ihre Gehirnsignale in ein Deep-Learning-System eingespeist wurden, das Meta in Anlehnung an die Anordnung der Buchstaben auf einer US-Tastatur Brain2Qwerty nennt.
Die Aufgabe dieses Deep-Learning-Systems besteht darin, herauszufinden, welche Gehirnsignale bedeuten, dass jemand ein „a“ tippt, welche ein „z“ und so weiter. Nachdem es einen einzelnen Probanden beim Tippen mehrerer tausend Zeichen beobachtet hat, kann das Modell schließlich darauf schließen, welche Taste die Personen tatsächlich gedrückt haben.
In der ersten Vorabveröffentlichung berichten die Meta-Forscher, dass die durchschnittliche Fehlerquote bei etwa 32 Prozent lag, also fast jeder dritte Buchstabe falsch war. Dennoch sind die Ergebnisse laut Meta die bisher genauesten für das Tippen mit dem Gehirn unter Verwendung einer vollständigen Buchstabentastatur und außerhalb des Schädels gesammelter Signale.
Die effektivsten Ansätze verwenden bisher implantierte Elektroden
Die Forschung auf dem Gebiet des Gehirnauslesens schreitet schnell voran, obwohl die effektivsten Ansätze Elektroden verwenden, die in das Gehirn oder direkt auf dessen Oberfläche implantiert werden. Diese invasiven Gehirn-Computer-Schnittstellen erfordern zwar einen chirurgischen Eingriff am Gehirn, können aber sehr genau elektrische Informationen von kleinen Gruppen von Neuronen erfassen.
2023 konnte beispielsweise eine Person, die aufgrund der neurodegenerativen Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ihre Stimme verloren hatte, mithilfe einer Software, die das Gehirn ausliest und mit einem Sprachsynthesizer verbunden ist, wieder sprechen, und zwar in fast normaler Geschwindigkeit. Das von Elon Musk gegründete Unternehmen Neuralink testet ein eigenes Gehirnimplantat, das Gelähmten die Kontrolle über einen Cursor ermöglicht.
Metas Bemühungen sind weiterhin auf die Grundlagenforschung über die Natur der Intelligenz ausgerichtet. Genau dabei kann der große Magnetscanner helfen. Auch wenn er für Patienten nicht praktikabel ist und keine einzelnen Neuronen misst, kann er doch das gesamte Gehirn auf einmal und umfassend untersuchen.
Beweise sammeln, wie das Gehirn arbeitet
In einer zweiten, ebenfalls Anfang Februar erschienenen Vorabveröffentlichung mit denselben Tippdaten erklärt das Meta-Team, dass es diese umfassendere Sichtweise nutzte, um Beweise dafür zu sammeln, dass das Gehirn Sprachinformationen auf eine Top-down-Methode produziert. Dabei löst ein Anfangssignal für einen Satz weitere, separate Signale für Wörter, dann Silben und schließlich getippte Buchstaben aus.
„Die Kernaussage ist, dass das Gehirn die Sprachproduktion hierarchisch strukturiert“, sagt Norman. Das ist keine neue Idee, aber Metas Bericht zeigt, „wie diese verschiedenen Ebenen als System interagieren“, so Norman. Diese Art von Erkenntnissen könnte schließlich das Design von Systemen der künstlichen Intelligenz beeinflussen. Einige von ihnen, wie Chatbots, stützen sich bereits weitgehend auf die Sprache, um Informationen zu verarbeiten und zu denken, genau wie Menschen es tun.
„Sprache ist zu einer Grundlage der KI geworden“, sagt King. „Die Berechnungsprinzipien, die es dem Gehirn oder jedem anderen System ermöglichen, solche Fähigkeiten zu erwerben, sind die Hauptmotivation für diese Arbeit.“