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MIT Technology Review Analyse

Verzettelt? Warum die Strahlkraft des Design Thinking nachlässt

Das Konzept des Design Thinking versprach, Innovationen in der Produktentwicklung zu demokratisieren. Doch möglicherweise hat der Ansatz das Gegenteil bewirkt.

Von MIT Technology Review Online
12 Min.
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Farbige Klebezettel gelten als Markenzeichen des Design Thinking. Sie helfen beim Visualisieren von Gedanken. Foto: picture alliance / Associated Press

Als die US-Amerikanerin Kyle Cornforth 2011 zum ersten Mal die Geschäftsräume des internationalen Design- und Beratungsunternehmens Ideo in San Francisco betrat, fühlte sie sich in einer völlig neuen Welt. Damals leitete sie das gemeinnützige „Edible Schoolyard Project“, das Schülern eine umweltfreundliche und gesunde Ernährung über Schulgärten und Kochprojekte näherbringen wollte. Mithilfe von Ideo.org, einem sozial ausgerichteten Spin-off von Ideo, wollte Cornforth die gängigen Konzepte für das Mittagessen in Schulen überdenken.

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Die als „Design Thinking“ bezeichnete Denkmethode für disruptive Innovationen ist eine Variante des erfinderischen Denkens, die unter anderem Airbnb zum Erfolg verholfen hat, in den letzten Jahren aber zunehmend in die Kritik geraten ist. Ziel des sechsstufigen Prozesses ist es, komplexe Probleme zu lösen und bahnbrechende Ideen für Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Im Zentrum des Konzepts steht Empathie. Sie soll helfen, die wahren Bedürfnisse der Nutzer:innen herauszufinden. Diesen Fokus auf den Menschen will Design Thinking mit den unter Ingenieur:innen und Manager:innen üblichen Zielen der technischen Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit verbinden – und damit den Weg zu Innovationen gewissermaßen demokratisieren.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 6/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf-Ausgabe bestellen.

Als Vorbild für Design Thinking gilt die Arbeit des Apple-Teams um Steve Jobs in den 1980er-Jahren, das schon damals auffallend benutzerfreundliche Computer entwickelte. In den 1990ern bekam das Konzept seinen Namen und gewann nach der Jahrtausendwende zunehmend an Beliebtheit, vor allem in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Soziales. Design Thinking wurde von Krankenhäusern und Arztpraxen genutzt, von Regierungsbehörden in Washington wie von Unternehmen im Silicon Valley. Auch Stadtverwaltungen beauftragten Design-Thinking-Agenturen, um Lösungen für komplexe Herausforderungen zu finden, vom Verkehrswesen bis zum Wohnungsbau. Bildungsdienstleister und Eliteuniversitäten wie das MIT und Harvard boten Kurse oder Studiengänge an. Sie zeigten eindrucksvoll, dass sich schon allein mit der Lehre von Design Thinking viel Geld verdienen ließ.

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Ein Team um Steve Jobs arbeitete schon nach den Prinzipien des Design Thinking, bevor die Methode ihren Namen bekam. Ein Ergebnis: der Apple IIc (1984), der erste tragbare Computer.
Foto: Adam Jenkins / Bilby / Wikipedia

Das Unternehmen Ideo und das Hasso Plattner Institute of Design in Stanford mit seiner d.school („Ein Ort, an dem Menschen Design nutzen, um ihr kreatives Potenzial zu entfalten“) spielten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Konzepts. Geholfen hat auch ihre Kernbotschaft, dass im Grunde jeder ein Designer sein kann, auch ein Manager aus einer designfernen Branche, wenn er nur dem vorgegebenen Prozess folgt. „Vielleicht ist Design zu wichtig geworden, um es allein den Designern zu überlassen“, schrieb Ideos Geschäftsführer Tim Brown 2009 in seinem Buch Change by Design: How Design Thinking Transforms Organizations and Inspires Innovation. Das kam Agenturen wie Ideo sehr zugute, denn viele Unternehmen beauftragten eher sie, um die Methodik zu lernen, als selber ein eigenes Designerteam einzustellen. Verführerisch war zudem das Selbstbild hinter dem Konzept. „Wir sind alle Kreative und können jedes Problem lösen, wenn wir nur empathisch genug vorgehen“, so das Versprechen von Design Thinking.

Ein weiterer möglicher Erfolgsfaktor ist ganz profan: der hohe Wiedererkennungswert von Whiteboards und farbigen Post-its, die schnell zu einer Art Markenzeichen der Methode wurden. Die quadratischen Klebezettel stehen für einen schnellen, kooperativen und gleichberechtigten Prozess, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die Visualisierung von Ideen und Gedanken ist ein zentrales Element des Design Thinking. Auch der Schulexpertin Cornforth fielen die Post-its während des Ideo-Workshops sofort ins Auge. „Sie waren wirklich überall. Mir gefiel das sehr, weil sie wie ein Netzwerk für das Zusammenarbeiten und das Kreieren wirkten“, sagt sie.

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Doch als es um die konkreten Ideen ging, kamen Cornforth Zweifel: „Ich dachte mir: ‚Die haben wohl mit niemandem gesprochen, der wirklich in einer Schule arbeitet, oder?‘ Sie kannten den Kontext des Problems nicht.“ Der Wissensaustausch mit Pädagogen und Verwaltungsangestellten, wie sie ihn aus ihrem beruflichen Umfeld kannte, passte so gar nicht zu der disruptiven Kreativität des Design-Thinking-Prozesses, wie er für Startups üblich ist. „Ich fühlte mich wie eine Ewiggestrige“, erinnert sie sich, „und ich hatte auch das Gefühl, dass sie den Bezug zur Realität verloren hatten“.

Magische Versprechen

Tatsächlich haben Designer im Konzept des Design Thinking fast den Status eines spirituellen Mediums. Schließlich sollen sie in der Lage sein, sogar die unausgesprochenen Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und mit diesem Wissen innovative Lösungen auch für hochkomplexe Probleme zu entwickeln.

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Dies soll in sechs Schritten erreicht werden. In den ersten beiden geht es darum, aus einem Wust von Fakten und Interessen das eigentliche Problem herauszufiltern und neu zu formulieren. Und es gilt – mit empathischer Intelligenz, durch Befragung und Beobachtung – herauszufinden, was die potenziellen Nutzer, etwa eines Produkts oder einer Dienstleistung, wirklich bewegt. Aus einer Vielzahl Perspektiven werden dann einige Varianten dieses sogenannten Problemraums selektiert und weiter abstrahiert. Potenzielle Lösungen werden anschließend in einem Brainstorming entwickelt. Wieder erfolgt eine Selektion. Schließlich werden Prototypen entworfen, getestet, Fehler und Probleme eruiert, beseitigt und das Ergebnis wird implementiert. Diesen letzten Schritt übernehmen Design-Thinking-Agenturen in der Regel allerdings nicht selbst, sondern sie liefern dem Auftraggeber eine Reihe von Empfehlungen für die Umsetzung.


Brainstorming am Hasso-Plattner-Institut: Design Thinking hat das Arbeiten in interdisziplinären Teams populär gemacht.
Foto: HPI / K. Herschelman

Eine wichtige Größe im Design Thinking ist die Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem Team. In den Neunziger- und Nullerjahren, als das Konzept aufkam, war das fast schon ein revolutionärer Gedanke. In den USA arbeiteten die meisten Menschen in Großraumbüros mit durch Stellwände abgeschirmten Arbeitsplätzen. Trotz überzeugender Forschungsergebnisse zu den Chancen vom Arbeiten in Teams – die ersten stammten aus den 1960er-Jahren – war das Einzelkämpfertum in vielen Branchen die vorherrschende Arbeitsform. Erst das Design Thinking brachte die Zusammenarbeit nach vorne. Es versprach, dass sich Arbeiten dadurch besser anfühlen und mehr Spaß machen könnte.

Für den Autor und Start-up-Berater Jake Knapp, der in den Nullerjahren als Designer bei Microsoft und später bei Google arbeitete, machte die „radikale Zusammenarbeit“ einen großen Teil der Anziehungskraft von Design Thinking aus. Denn für viele war es das erste Mal, dass Kollegen verschiedener Disziplinen gleich zu Beginn eines Projekts zusammenkamen, um Lösungen für Probleme zu besprechen.

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Angela McKee, die vom Schulbezirk San Francisco eingestellt worden war, um die Ideen von Ideo zur Verbesserung der Schulkantinen umzusetzen, sieht vor allem die motivierende Wirkung positiv. Der Design-Thinking-Prozess und die Empfehlungen der Agentur hätten selbst unter Bürokraten aus der Stadtverwaltung einen neuen Willen zur Verbesserung entfacht, der bis heute anhalte. „Entscheidend war, dass uns eine Geschichte erzählt wurde, die den Menschen den Wert des Projekts vermittelte“, sagt McKee. „Die Leute glaubten daran.“

Nachlassende Strahlkraft

Doch die Strahlkraft des Denkkonzepts hat in den letzten Jahren nachgelassen. Kritiker monieren, die kurzfristige Konzentration auf neue, ausgefallene Ideen habe zu unrealistischen Empfehlungen geführt. Außerdem sei das „Innovationstheater“ – das Ankreuzen von Kästchen, ohne sinnvolle Veränderungen zu bewirken, – über Jahre in Unternehmen endemisch geworden. Zahlreiche soziale Initiativen sind kaum über Pilotprojekte hinausgekommen. Zudem haben Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter und die politischen Turbulenzen der Trump-Regierung gezeigt, dass viele große Probleme deutlich tiefer gehen, als dass man sie mit dem Zauberstab des Design Thinking auslöschen könnte.

Jake Knapp, der bei Google mehrere Design-Thinking-Workshops leitete, stellte fest, dass die Brainstorming-Sitzungen in der Regel gar nicht zu Produkten oder Lösungen führten – trotz hohen Engagements zu Beginn und jeder Menge Post-its. Erkundigte er sich bei den Teams, welche Workshop-Ideen es am Ende in die Produktion geschafft hatten, erfuhr er, dass Entscheidungen immer noch auf die zuvor übliche Art getroffen wurden: auf der Basis von Ideen, die ein paar einsame Genies erarbeitet und dann zur Wahl gestellt hatten.

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Aber auch die Umsetzung eines im Design Thinking entwickelten Projekts ist ein heikles Thema. Schließlich ist die Beratung durch die Agenturen zeitlich begrenzt, je nach Zeitplan und Budget des Auftraggebers. In der Regel zieht sich die Agentur vor oder kurz nach der Pilotphase zurück. Die Instrumente zielen daher nur auf den Beginn, nicht aber auf den Abschluss der Produktentwicklung ab – und vernachlässigen mögliche unerwünschte Nebenwirkungen.

Auf kommunaler Ebene, so Cyd Harrell, Leiterin der Abteilung für digitale Dienste der Stadt San Francisco, bestehe das größte Problem darin, herauszufinden, wie die Ideen am Ende unter realen Bedingungen umgesetzt und finanziert werden können. „Es gibt eine Diskrepanz zwischen den kurzen Evaluierungszyklen im kommerziellen Design und den längeren Evaluierungszyklen in der Politik“, sagt sie.

Dass eine mangelnde Finanzierungsplanung selbst preiswürdigen Projekten den Todesstoß versetzen kann, zeigt das Projekt Diva Centres in Lusaka, Sambia, das Ideo.org und eine Partnerorganisation vor Ort entwickelt haben. Es galt, Jugendliche sexuell aufzuklären und ihnen den Zugang zu Verhütungsmitteln zu erleichtern. Mithilfe der Design-Thinking-Methode kam das Team auf die Idee, Nagelstudios einzurichten, in denen sich die Jugendlichen in einer entspannten Umgebung beraten lassen können. Das Team baute drei Modellstandorte auf und erklärte die Arbeit zum Erfolg; das Projekt Diva Centres gewann 2016 einen Core77 Service Design Award und ist als Fallstudie immer noch auf der Ideo.org-Website zu finden.

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Mangelndes Fachwissen

Doch das Modell setzte sich nicht durch, wegen der Randbedingungen vor Ort. Ein komplexes Netzwerk aus Finanzierungs- und Dienstleistungskanälen des öffentlichen Gesundheitswesens in der Region machte die Skalierung des Pilotprojekts „unerschwinglich teuer und kompliziert“, wie die Verantwortlichen von Ideo.org später schrieben. Bis 2017 sollten eigentlich zehn Nagelstudios als Zentren sexueller Aufklärung entstehen. Dieser Meilenstein wurde bis heute nicht erreicht.

Ideos Ideen für die Schulbehörde in San Francisco aus dem Jahr 2013 wiederum, die Angela McKee später mit umsetzen sollte, bereiteten im Nachgang viel Ärger. Ideo hatte zehn Empfehlungen geliefert, darunter gemeinschaftliche Esstische, Verkaufsautomaten mit Mahlzeiten zum Mitnehmen, kommunale Lebensmittelpartnerschaften für frischere Produkte sowie eine App und ein interaktives Webportal, damit Schüler und Familien sich an der Auswahl des Mittagessens beteiligen können. Auf der Ideo-Website war von „einhelliger Begeisterung“ der Schulverwaltung für die Empfehlungen zu lesen.


In sechs Stufen zu innovativen Produkten und Dienstleistungen – und Geschichten, mit denen sich gut Werbung machen lässt.
Quelle: Ideo

Doch das Happy End für die Agentur war keines für die Kunden. Für sie begann die eigentliche Arbeit, nachdem Ideo die Beratung abgeschlossen hatte. McKee sah, dass die Empfehlungen oft weder die Komplexität der Abläufe noch den Aufwand für die Umsetzung berücksichtigt hatten. Zum Beispiel nicht, dass es Auflagen gibt, wenn ein Loch in eine asbesthaltige Schulwand zu bohren ist. Die vorgeschlagenen Verkaufsautomaten zur Verpflegung der Schüler wiederum hätten eine stabile Internetverbindung gebraucht, über die viele der Zielstandorte schlicht nicht verfügten. Auch die App dafür wurde nie umgesetzt, da sie eine ganz neue Abteilung für das Aktualisieren der Software und ihres Inhalts erfordert hätte.

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Eine spätere Analyse ergab, dass sich trotz zunehmender Schülerzahlen immer noch gleich viele oder sogar weniger Kinder für das Schulessen entschieden. Das kann zwar auch an der Qualität des Essens gelegen haben, die sich nicht wesentlich verbessert hat. Doch das Ziel, mehr Kinder zum Essen in der Schule zu bewegen, wurde nicht erreicht.

Einige der Empfehlungen aus dem Design-Thinking-Prozess wirkten McKee zufolge aber doch nachhaltig: Mehr als 70 von 114 Schulcafeterien des Bezirks wurden renoviert und nach mitunter jahrzehntelanger Baufälligkeit endlich einladender gestaltet. Design Thinking hatte offenbar geholfen, den Entscheidungsträgern den Wert von ansprechend gestalteten Schulkantinen zu vermitteln.


Der Stuhl auf Rollen „Node“ wurde mithilfe der Design-Thinking-Agentur Ideo entwickelt. Er hat Tisch und Taschen immer dabei und ermöglicht einen schnellen Wechsel zwischen Frontalunterricht und Gruppenarbeit.
Foto: Steelcase

Empathie oder Profitstreben

Kritik am Design Thinking kommt auch von Lilly Irani, außerordentliche Professorin an der University of California in San Diego. Sie monierte vor einigen Jahren, die Methode sei ein Auswuchs der Geschäftsinteressen und Kultur des Silicon Valleys. Das Konzept verorte westliche – und oft weiße – Designer auf einer höheren Hierarchieebene und behandele sie wie Zauberer, die Erfahrungen von Arbeitern in kapitalistische Möglichkeiten umsetzen könnten, sagt sie.

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Der ehemalige Ideo-Designer George Aye bestätigt Iranis Bedenken, insbesondere wenn es um Projekte in Regionen mit tief verwurzelten, systemischen Problemen geht, beispielsweise in ärmeren Ländern. Er war selbst bei solchen Vorhaben dabei. Die Designer seien dort eher wie Touristen aufgetreten, moniert er. So aufrichtig sie auch helfen wollten, am Ende sei es darum gegangen, als Nachweis für die Beratung „ein paar gute Fotos zu machen, auf denen sie neben typisch dunkelhäutigen Menschen mit bunter Kleidung standen“.


Design-Thinking-Produkt für Entwicklungs- und Schwellenländer: 2008 entwickelten Studierende am Stanford Institute of Design eine Art Wärmesack für Frühgeborene, der mobil und kostengünstiger ist als ein Inkubator im Krankenhaus. Das Produkt ist in Zusammenarbeit mit Ärzten und Müttern in Nepal entstanden.
Foto: Embrace

Heute leitet Aye das Greater Goods Studio, das ausschließlich mit gemeinnützigen Organisationen zusammenarbeitet. Er möchte hervorheben, was lokale Gemeinschaften schon erreicht haben, und sie unterstützen, wichtige Ressourcen zu organisieren. „Wenn Designer nicht die Menschen vor Ort in den Mittelpunkt stellen, dann ist es profitorientiertes Design“, sagt er. „Anders kann man es nicht ausdrücken.“

Agenturen und Bildungsinstitutionen sind die Probleme bekannt. Nicht umsonst arbeiten sie gerade daran, die Prinzipien und Methoden des Design Thinking zu reformieren. An der d.school in Stanford ist die Ästhetik des Konzepts – Whiteboards, Pappmöbel und Post-its – zwar noch immer präsent, aber die Begriffe und Ideen klingen neu. Der Begriff „Design Thinking“ taucht in keinem Infomaterial für die neu gestalteten Grund- oder Aufbaustudiengänge mehr auf. Statt Empathie sollen nun „Make“ (Tun) und „Care“ (Fürsorge) die Designausbildungen prägen. Im Gegensatz zu Empathie beinhalte Fürsorge die möglichen langfristigen Nebenwirkungen einer Innovation, sagt die akademische Leiterin Carissa Carter. „Was ist das Vermächtnis, das wir hinterlassen werden? Was sind die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen?“


Prototypen-Entwicklung mit Lego-Steinen: Es gilt, möglichst früh Fehler im Prozess zu entdecken und zu beseitigen.
Foto: HPI School of Design Thinking / Jana Legler

Der Kreativdirektor Scott Doorley ist seit über 15 Jahren an der d.school und hört immer öfter, dass auch die Studierenden selbst nach grundlegenden Veränderungen fragen. „Sie sagen etwa: ,Ich möchte etwas tun, das nicht nur etwas verändert, sondern etwas verändern, ohne alles andere zu vermasseln‘“, sagt Doorley. Das sei eine „wirklich großartige Kombination aus Aufregung und Bescheidenheit“. Und tatsächlich hat die d.school bereits Änderungen im Lehrplan vorgenommen. So findet ein Ethikkurs statt am Ende des Grundstudiums nun am Anfang statt. Auch Lösungen zu planen, die über die Fertigstellung eines Projekts hinausgehen, ist Teil der neuen Lehre.

Gute Geschichten

Für das Design Justice Network (DJN), ein Kollektiv von Designpraktikern und -pädagogen, sind Entschleunigung und die Akzeptanz von Komplexität der Schlüssel dazu, um Praktiken wie Design Thinking in Richtung Gerechtigkeit zu bewegen. „Wenn wir wirklich über Stakeholder nachdenken wollen, wenn wir beim Entwerfen von Dingen mehr Möglichkeiten haben wollen, dann können wir nicht mit der Geschwindigkeit der Industrie arbeiten“, sagt Wes Taylor von der Virginia Commonwealth University, der zu den DJN-Leitern gehört.

Auch Ideo-Chef Tim Brown räumt Fehler ein. „Wir haben damals zu wenig darauf geachtet, unseren Kunden zu helfen, selbst Fähigkeiten aufzubauen“, sagt er. Jetzt, wo die Fragen an die Designer tiefer gehen und komplizierter seien – zum Beispiel, wie Ford zu einem menschenzentrierten Unternehmen werde, und nicht mehr, wie sich ein besseres digitales Armaturenbrett bauen lasse –, hätten die Ideo-Manager erkannt, dass eine Kombination aus Designprozess und Aufbau der Kapazitäten bei den Kunden und Kommunen entscheidend für den Erfolg sei. In der Praxis bedeute das allerdings auch: mehr Zeit vor Ort, mehr Partnerschaften und mitunter auch mehr Geld. „Es geht darum, anzuerkennen, dass die Kunden über das meiste Fachwissen verfügen, und weniger arrogant zu sein“, sagt Brown.

Ideo hat außerdem Autoren und Filmemacher eingestellt, um noch besser Geschichten erzählen zu können. Das ist laut Brown inzwischen die Schlüsselaktivität schlechthin, um gesellschaftliche Änderungen zu bewirken.

Tatsächlich lag der größte positive Einfluss des Design Thinking wohl immer in den Geschichten, die es erzählen half. Sie machten den Wert der interdisziplinären Zusammenarbeit in Wirtschaftskreisen bekannter, Organisationen sichtbarer und halfen, privaten wie öffentlichen Quellen Geld für teure langfristige Projekte zu entlocken. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass Menschen, denen Agenturen viel versprochen hatten, nach der Beratung oft im Stich gelassen wurden. Ob sich das in Zukunft ändern wird, bleibt abzuwarten. Solange die Verantwortlichen in Beratungsagenturen und Elfenbeinturm-Institutionen sitzen, wird es vermutlich schwer, die Interessen der ohnehin Mächtigen und Privilegierten aus dem Fokus zu rücken.

Von Rebecca Ackermann

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Kommentare (1)

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Nik Pelzl

Leider ist der hier wiedergegebene Artikel – trotz seiner vermeintlich ambitionierten Recherche – meinem Empfinden nach ziemlicher Unsinn. Denn darin wird „Design Thinking“ als ein „künstlich“ geschaffener Prozess beschrieben, der im Sinne einer „Methode Gorilla“ (hier: Mache 6 Schritte „richtig“, dann winkt am Ende die Banane), die erfolgreiche und nachhaltige Lösung von Problemstellungen (von z.B. Produkten, Dienstleistungen … etc. …) gewährleistet.
Das ist schlicht falsch.
„Design Thinking“ beschreibt den seit jeher im Industrial Design üblichen Ansatz eines „holistischen“ (und daher natürlich interdisziplinären) Problemlösungsansatzes (völlig egal ob dieser in einem Team oder von einer einzelnen Person verfolgt wird). Dabei wurde niemals auch nur im Ansatz der Anspruch einer Demokatisierung des „Design Prozesses“ (Anm.: Design steht hierbei ganz global für „Gestaltung“ und nicht für die Lösung ästhetischer Funktionen) erhoben. Der Gestaltungsprozess ist nämlich entgegen der hier beschriebenen Behauptung perse „gewollt undemokratisch“.
Vielmehr setzt „Design Thinking“ genau hier an!
Es ist der Versuch, Lösungen für mehr oder weniger komplexe Problemstellungen systematisch
und „objektivierbar“ (unter Brücksichtigung ALLER „Stakeholder“ und unter klar definierten Rahmenbedingungen) herzuleiten (!!!). Dabei ist insbesondere der Ausgangspunkt des (Entwicklungs-)Prozesses bemerkenswert, nämlich, die Evaluierung ob die als zu lösen formulierte Problemstellung auch wirklich das eigentliche Problem darstellt.
Ob es bis zur Implementierung der Erkenntnisse dann weitere 5 oder 50 Schritte benötigt, hängt von der Komplexität der zu lösenden Problemstellung ab (persönliche Anmerkung: Wenn der Output dieses Prozesses „Geschichten erzählen“ ist, dann sollte man es vielleicht doch eher von vorne herein bleiben lassen). In jedem Fall sind die hier beschriebenen „6 Schritte“ der erbärmliche Versuch einer „monetarisierung“ einer Entwicklungsphilosophie.

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