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Interview
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Work-Life-Balance: Psychotherapeutin erklärt, wo Arbeit aufhört und Leben anfängt

Die Psychologin Nora Dietrich weiß, wie sehr Arbeit und psychische Gesundheit zusammenhängen. Im Interview erzählt sie, worauf es bei einer gesunden Work-Life-Balance ankommt.

6 Min.
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In ihrem Buch beschäftigt sich die Psychotherapeutin Nora Dietrich damit, wie man Leistung und Gesundheit im Einklang bringen kann. (Foto: Ole Witt)

Auch wenn hinter den Begriffen wie New-Work oder Work-Life-Balance echte Konzepte stecken, verwenden viele Menschen sie wie leere Buzzwords. Einer davon ist der Bundeskanzler Friedrich Merz, der bei seiner Amtseintrittsrede zu mehr Leistung aufrief. „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, so Merz.

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Während dieser Rede arbeitete die Psychotherapeutin Nora Dietrich gerade an den finalen Zügen ihres Buches „Mental Health at Work“. Mit ihrem Unternehmen Between People möchte sie Firmen helfen, die Arbeit der Angestellten gesünder zu gestalten. Das Statement von Friedrich Merz findet Dietrich zu kurz gegriffen.

t3n: Nora Dietrich, können Sie Friedrich Merz verstehen, wenn er gegen New-Work wettert?

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Nora Dietrich: Wenn ich jetzt rein wirtschaftlich auf die stagnierende und zurückgehende Produktivität blicke, und dann die Wünsche nach einer Vier-Tage-Woche und veränderten Arbeitsmodellen im Kontrast dazu sehe, dann würde ich ihn verstehen.

Allerdings ignoriert er in der Diskussion die Rahmenbedingungen für produktive Arbeit. Die Frage ist ja: Warum sinkt die Produktivität? Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass wir zu wenig Zeit bei der Arbeit verbringen.

Heute rollen wir mit den Augen, wenn Work-Life-Balance gefordert wird und stecken insbesondere die junge Generation in eine Schublade. Dabei leistet sie unglaublich viel. Viele Jüngere wünschen sich nur andere Bedingungen.

t3n:Was ist denn Ihrer Meinung der Grund, dass wir weniger produktiv sind?

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Der Fachkräftemangel. Aber auch, dass wir keine ausreichenden Strukturen haben, um Frauen in Vollzeit oder angemessene Teilzeit in die Jobs zu holen, oder dass wir Leistung immer noch am Faktor Zeit messen und nicht am Ergebnis.

Das darunter liegende Modell hat ganz wenig mit Arbeitszeit alleine zu tun. Wir in Deutschland haben zwar eine der wenigsten Arbeitsstunden in Europa, aber dafür unglaublich viele Überstunden. Wir leisten zusammengerechnet pro Jahr über 1,2 Milliarden Überstunden, 638 Millionen davon sind unbezahlt. Trotzdem sind wir scheinbar nicht produktiv genug.

t3n: Welche Rolle spielt dabei denn der Begriff Work-Life-Balance?

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Work-Life-Balance bedeutet, dass neben der Arbeit noch Raum für das Privatleben vorhanden ist. Das heißt für Familien, Freizeit, Gesundheit und weitere Aspekte. Ich finde den Anspruch schön, ein ausbalanciertes Leben zu führen. Es geht aber vor allem darum, die Beziehung zwischen Arbeit und Leben zu definieren.

t3n: Was meinen Sie damit?

Ein gesundes Arbeitsleben hat einen positiven Spillover-Effekt auf ein gesundes Leben. Wenn du von der Arbeit kommst und sehr gestresst bist, dann ist auch die Zeit am Abendbrottisch wahrscheinlich nicht die schönste. Dazu bist du wahrscheinlich ausgelaugt, gehst nicht mehr zum Sport und lässt viele Dinge hintenüber fallen, die dir wichtig sind.

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Andersherum ist es genauso: Dein Privatleben hat Auswirkungen auf die Arbeit. Denn wenn du zu Hause gerade durch die Scheidung gehst, wird auch das Arbeitsleben davon in Mitleidenschaft gezogen. Das heißt, wir haben eigentlich einen Work-Life-Cycle. Die positive und die negative Seite füttern sich gegenseitig.

Wichtig ist nur, dass auch andere Lebensbereiche Raum bekommen. Für viele hat Arbeit dennoch die größte Priorität und ist damit auch einer der größten Stressfaktoren.

t3n: Das klingt kompliziert, besonders für Menschen, die mit viel Leidenschaft arbeiten. Wie sollen die Menschen es handhaben, bei denen der Job Teil ihrer Identität ist?

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Auch Lieblingsjobs bringen Druck. Berufungen fordern uns manchmal bis an die Grenze. Arbeit ist ein großer Teil unseres Lebens und kann ein entscheidender Teil eines erfüllten Lebens sein. Aber sie ist eben nicht alles.

In der Psychologie unterscheiden wir zwei Formen von Passion: die harmonische und die obsessive. Die obsessive Passion entsteht oft, wenn wir uns zu sehr mit der Arbeit identifizieren. Wenn wir glauben, wir selbst zählen nur, wenn wir leisten oder etwas verändern.

Das ist der schleichende Weg ins Burn-On – in eine Phase, in der wir äußerlich noch funktionieren, aber innerlich längst erschöpft sind. Das sieht man besonders häufig in Berufen mit großer Mission. Da, wo es um etwas „Größeres“ geht, verlieren viele Menschen oft das Gespür dafür, wo sie selbst aufhören und die Aufgabe beginnt.

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Angst ist das, was viele von uns antreibt. Viele Menschen rennen weg, von fehlendem Status, von Kritik oder vom nicht genug sein. Das ist ein toller Antrieb, der wunderbar funktioniert, aber wir erkennen dann selten die Ziele, die wir tatsächlich erreichen.

Deshalb ist es so wichtig, sich regelmäßig zu fragen: Bin ich noch im Gleichgewicht? Dient mir meine Arbeit auch oder diene ich nur noch ihr?

t3n: Und die harmonische Passion?

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Das ist die gesündere Form davon. Das heißt, du liebst deinen Job, du machst das gerne, du gibst alles, du hast große Ziele, aber du weißt, dass du die langfristig nur halten kannst, wenn du selbst stattfindest.

Harmonische Passion lässt uns aufgehen in dem, was wir tun – aber mit einem inneren Gleichgewicht. Wir können abschalten, Distanz halten, auftanken. Es geht nicht darum, keine Leidenschaft zu haben oder sie komplett herunterzufahren, sondern ein gesundes Mitellmaß zu finden.

t3n: Es klingt schwierig, das zu erkennen.

Ja, das ist es, weil es sich häufig sehr ähnlich anfühlt. Wir rennen bei beidem – bei dem einen rennen wir auf etwas zu, bei dem anderen vor etwas weg, aber man kann sich immer gut fragen: Sind es die großen Visionen, die mich motivieren oder sind es die Risiken?

Für mich ist es total hilfreich, einfach auch Menschen um mich herum zu haben, die mir signalisieren: ‘Das, was ich an dir liebe, sind nicht deine Projekte.’ Also auch zu verstehen, ich kann meinen Job lieben, aber es bedeutet nicht, dass ich mein Job bin.

Außerdem hilft es darauf zu gucken, welche Lebensbereiche wirklich stattfinden. Im Buch habe ich zum Beispiel diese ganz simple Coaching-Übung vom „Wheel of Life“. Da schaut man: Welche anderen Lebensbereiche von mir bekommen eigentlich Aufmerksamkeit? Sind es die Dinge, die ich als wichtig benennen würde, wie Familie, Freunde, Beziehung, Kreativität oder Sport? Dann schaut man: Finden diese Dinge wirklich statt, wenn ich mir Zeit ansehe, die ich investiere? Das hilft, wenn man herausfinden will, welcher Bereich etwas mehr Liebe braucht.

t3n: Andererseits sagen Sie in Ihrem Buch: „Mental Health ist kein DIY-Projekt“. Bei vielen spielt der Arbeitgeber nicht mit, wenn man sich mehr Zeit für die Familie oder ein Hobby nehmen möchte.

Absolut. Wir sehen den Trend, dass viele Organisationen Rückschritte machen, zur High-Performance-Kultur zurückkehren und autoritärer führen. Wenn die Wirtschaft regressiert, dann regressieren wir in unserem Verhalten. Zusätzlich versuchen wir, dieses ‘zu wenig’ mit mehr zu kompensieren – ohne uns zu fragen, ob das eigentlich Hand in Hand mit unseren Ressourcen geht. Die Antwort auf Krankheitstage sind ja nicht längere Arbeitsstunden.

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Meine Sorge ist, dass wir das Thema aktuell zu einseitig betrachten. Wenn wir einen genaueren Blick auf Organisationen werfen, sehen wir alarmierende Entwicklungen: Die Zahl der Krankheitstage ist so hoch wie nie zuvor. Noch nie waren so viele Mitarbeitende bereit, ihre Organisation zu verlassen. Phänomene wie Quiet Quitting nehmen massiv zu.

All das sind nicht nur kulturelle und zwischenmenschliche Warnzeichen – sie stellen auch ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Denn diese Faktoren kosten Organisationen bereits heute immense Summen. Es geht also nicht nur um Wohlbefinden, sondern auch um wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

t3n: Was würden Sie Menschen raten, die sich in Organisationen befinden, die wieder zu diesen alten Modellen zurückkehren?

Ich glaube, der erste Schritt ist, sich zu fragen: Handelt es sich um eine kurzfristige Ausnahmesituation – oder wird da gerade still und leise eine neue, langfristige Erwartung aufgebaut?

Kurz vor einer Deadline ist der Stress natürlich hoch. Das verstehen die meisten Menschen. Vor allem dann, wenn danach auch mal kurz durchgeatmet werden darf. Aber wenn dieses „Mehr“ plötzlich zur neuen Normalität wird, stellt sich die Frage: Ist das realistisch auf Dauer?

t3n: Und wenn die Erwartung nicht realistisch ist?

Dann ist es wichtig, nicht stillzubleiben. Überlastung muss sichtbar werden. Ob anonym in Mitarbeiter:innenbefragungen – oder noch besser: direkt im Feedback an die Führungskraft. Mit Sätzen wie: „Es ist zu viel. Wir schaffen das nicht. Wir brauchen Unterstützung – oder neue Prioritäten.“

Und wenn ich merke, dass es auch auf Dauer nicht tragbar ist, dann darf ich das für mich anerkennen. Und daraus eine klare Entscheidung treffen – im Zweifel auch so etwas wie eine Kündigung.

Das sollte der letzte Schritt sein. Dann, wenn ich alles andere probiert habe und immer noch nur höre: „Da musst du halt durch“ braucht es ehrliche Grenzen.

Trotzdem ist es leichter gesagt als getan, denn ich kann nur kündigen, wenn ich die Freiheit dazu habe – finanziell, familiär, sozial. Doch sich überhaupt zu erinnern, dass wir diesen Weg gehen könnten, ist wichtig. Denn: Gesundheit wird irgendwann richtig teuer, wenn wir sie erst mal verloren haben.

 

7 einfache Methoden, wie ihr mit Stress am Arbeitsplatz umgeht Quelle: Prostock-studio/Shutterstock

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Kommentare (1)

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evie mason

Das ist ein wirklich lesenswerter Artikel, der zeigt, wie wichtig eine gesunde Work-Life-Balance für unser Wohlbefinden ist – besonders in Zeiten, in denen wir ständig erreichbar sind. Die Überlegungen zur bewussten Trennung von Arbeit und Privatleben sowie die vier Lebensbereiche als Orientierungshilfe fand ich besonders hilfreich. Ich merke selbst, wie kleine Rituale und Pausen im Alltag dazu beitragen können, den Kopf freizubekommen. Für solche Auszeiten gönne ich mir hin und wieder etwas Praktisches oder Schönes – dabei schaue ich gerne nach Angeboten, zum Beispiel auf Seiten wie RabattDigga, wo ich nützliche Tools oder Alltagshelfer günstiger finde. Oft machen schon kleine Veränderungen einen großen Unterschied

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